OSZE PV: Prinzipien von Zusammenarbeit und umfassender Sicherheit in der Coronavirus-Krise

Nachdem in der zentralchinesischen Metropole Wuhan Ende 2019 eine nicht identifizierte Lungenkrankheit ausgebrochen war, machte sich niemand in unseren Mitgliedsländern ernsthafte Sorgen. Niemand ahnte, dass sich dieser Infekt zu einer Epidemie und ganz schnell zu einer Pandemie entwickelt – und damit unsere Länder in einer Weise trifft, wie seit dem Zweiten Weltkrieg nicht mehr.

Aber die Krise gibt uns jetzt auch die Gelegenheit zu begreifen, alte Gewohnheiten und Vorurteile zu überdenken und uns weiterzuentwickeln. Auf jeden Fall ist dieser Moment nicht dazu angetan, die Schuld an der Pandemie in ihrer dramatischen Entwicklung bei den Ländern zu suchen und der Krankheit auch noch Ländernamen zu geben!

Nach dem Zweiten Weltkrieg konnten wir ein weltweites Zusammenwachsen der Wirtschaft sehen. Aber diese Globalisierung in ihrer heutigen Form ist nicht frei von Gefahren und Herausforderungen. Die COVID-19-Pandemie zeigt es in aller Deutlichkeit. Komplexe Lieferketten oder die Abhängigkeit von einem einzigen Lieferanten mögen zwar Produktionskosten minimieren, erweisen sich aber als hochriskant und anfällig für Krisen. Es ist jetzt wichtig, alle Kraft darauf zu verwenden, dass die Länder unserer Organisation deutlich stärker und handlungsfähiger aus der Krise hervorgehen. Denn die Eindämmung und die Auswirkungen des Virus im OSZE-Raum werden wir nur gemeinsam und solidarisch meistern können, und damit die Sicherheit insgesamt erhöhen. Ein Rückfall in Kleinstaaterei und nationale Egoismen würde alle OSZE-Staaten schmerzlich zurückwerfen und unsere Organisation ernsthaft gefährden. Nur gemeinsam können wir Freiheit und Wohlstand von Vancouver bis Wladiwostok erhalten.

Die Krise führt uns allen vor Augen, auf wen es in diesen Zeiten ankommt: auf den „einfachen Mann bzw. Frau“, die das Gesundheitssystem, die Nahrungsversorgung, die Mobilität und die Sauberkeit (Müllabfuhr) und Energieversorgung ab Laufen/Funktio­nieren hält. Nach der Krise muss uns klar sein, was diese Menschen unseren Gesellschaften wert sind und wie wir ihre Arbeitsbedingungen spürbar verbessern können.

Gerade jetzt muss über die Zeit nach den pandemiebedingten Beschränkungen nachgedacht werden. Wie diese konkret für Gesellschaft und Wirtschaft aussehen wird, kann derzeit noch keiner wissen.

Deshalb sollten wir als OSZE PV versuchen zu skizzieren, wo aus unserer Sicht konkreter Handlungsbedarf in den nächsten Wochen und Monaten gegeben sein wird.

  1. Gesundheitliche Versorgung ist ein wesentlicher Teil der öffentlichen Daseinsvorsorge (bzw. sollte es sein) für die Gesellschaften unserer Länder. Globalisierung ja, aber fair, solidarisch, nachhaltig und sicher. Und nicht um jeden Preis. Die Eigenversorgungsquote muss künftig gerade auch wieder im Gesundheitsbereich in den Focus rücken. Aus Sicherheitsüberlegungen sollten Produktionszweige zumindest teilweise wieder in unsere Länder rückverlegt werden und dabei auf eine gute, faire Zusammenarbeit geachtet werden. Der Preis darf nicht das alleinige Kriterium sein.

  2. Nach der Corona-Pandemie können wir auch einen Neustart unserer wirtschaftlichen Zusammenarbeit wagen. Neben den Investitionen in unsere Volkwirtschaften sollten wir Umweltfragen und soziale Aspekte nicht vernachlässigen.

  3. Auch das globalisierte Finanzsystem muss überdacht und krisensicherer gemacht werden. In Europa wurde seit der Finanzkrise 2007/2008 eine ganze Reihe von Mechanismen zur Stärkung des Finanzsystems entwickelt und etabliert. Das ist eine gute Grundlage für weitere Verbesserungen.

  4. Nicht nur große Unternehmen verdienen unsere Aufmerksamkeit, sondern auch und gerade mittlere und kleine Unternehmen sowie Soloselbständige.

  5. In all unseren Überlegungen muss auch immer Platz sein für die Kunst- und Kulturschaffenden unserer Länder. Sie zu unterstützen, ihre Arbeit einzubinden bei der Krisenbewältigung muss uns zivilisierten Ländern ein Herzensanliegen sein.

  6. Auch der Tourismus sollte in seiner Gesamtheit mitgedacht werden: Er kann helfen, Völkerverständigung und Völkerfreundschaften zu fördern und Grenzen abzubauen. Visa-Erteilungen müssen neu gedacht und auch erleichtert werden.

  7. Der Austausch auf Wissenschaftsebene ist eine wichtige Grundlage für die Bekämpfung zukünftiger Krisen. Eine gut vernetzte Welt der Wissenschaft kann schneller und effizienter Erfolge erzielen. Die gesundheitliche Sicherheit und das Wohlergehen der Bevölkerung haben dabei einen höheren Anspruch als der finanzielle Aspekt von Patenten. Die Forschungsfreiheit ist für eine effektive wissenschaftliche Zusammenarbeit unabdingbar und muss in jedem unserer Länder gewährleistet werden.

  8. Der Zusammenhang von Umwelt und Gesundheit wird durch die Corona-Krise nochmal deutlicher und erfordert weitere Erforschung. Um zukünftigen Pandemien und Gesundheitskatastrophen vorzubeugen, reicht es nicht, die medizinische Infrastruktur zu stärken, es braucht eines umfassenden Ansatzes, der alle Faktoren und Zusammenhänge miteinschließt.

  9. Neue Technologien, insbesondere künstliche Intelligenz, bekommen in Zeiten der COVID19-Pandemie weltweit einen deutlichen Wachstumsschub. Sie haben das Potenzial, uns bei der Bewältigung der Krise massiv zu helfen und neue Krisen vorzubeugen. Sie bergen aber auch eine Reihe von Risiken und Gefahren, dessen wir bewusst sein müssen. Auch hierzu brauchen wir Austausch und Kooperation.

  10. Es sollte ein OSZE-Katastrophenschutz-Pool – ähnlich zu dem der EU (ECCP) – aufgebaut werden. Mit regelmäßigen Planspielen und gemeinsamen Katastrophenübungen des zuständigen Personals können wir unsere gemeinsame Sicherheit verbessern. Katastrophenpläne können ausgearbeitet und auf den Prüfstand gestellt werden. Die gegenseitige Hilfe und Unterstützung dient letztlich auch der Friedenserhaltung und -sicherung.

  11. Darüber hinaus müssen wir auch dafür Sorge tragen, dass in unseren eigenen Ländern die politischen, demokratischen Strukturen gestärkt werden bzw. erhalten bleiben. Besonders dort, wo „Staat“ für jeden Bürger spürbar ist, nämlich in seiner Gemeinde, muss für gute Verhältnisse gesorgt werden.

  12. Die OSZE PV betreibt aber nicht nur Nabelschau. Wir wollen unsere Anstrengungen für die Bewahrung von Sicherheit auch über den Kreis unserer Mitgliedsstaaten ausweiten, indem wir helfend den OSZE-Kooperationspartnern und Ländern Afrikas zur Seite stehen.

Der Bevölkerung in unseren Ländern ist für die große und mit sehr viel Geduld ertragene Disziplin während der Pandemie-Zeit zu danken. Hilfsbereitschaft, Solidarität und Menschlichkeit haben uns in der Krise ausgezeichnet – wir müssen alles daran setzen, diese guten Eigenschaften beizubehalten. Dazu müssen auch die Voraussetzungen geschaffen werden und umgehend begonnen werden, Konflikte, die es nach wie vor in unserer Organisation gibt, zu lösen. Zu allererst müssen unsere Bemühungen darauf gerichtet sein, dass überall kriegerische bzw. gewalttätige Auseinandersetzungen zum Erliegen kommen.

Doris Barnett

  • On 23. April 2020

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